Um zur Ranch zu kommen, bei der ich mich heute für einen Ausritt angemeldet habe, muss ich zwei verschiedene Busse nehmen, die wirklich jede Seitenstraße und noch so kleine Station mitnehmen. Als mich der Bus an der angegebenen Haltestelle ausspuckt, fühle ich mich elend und wie ausgekotzt. Mit lautem Motor fährt der Bus auf seinen riesigen Reifen weiter und ich breche auf dem Boden zusammen. Ich kann für einen Moment nicht aufstehen. Dreimal atme ich tief durch. Ich bin spät dran, die Busse hier sind schlimmer als die Deutsche Bahn und kennen keine Pünktlichkeit. Daher habe ich nicht viel Zeit, um zu verschnaufen. Google Maps sagt 15 Minuten. Ich sollte schon dort sein. Auf halbem Weg werde ich von der Frau aus dem Büro angerufen. Ich versuche ihr, auf Spanisch zu verstehen zu geben, dass ich fast da bin.
Dort angekommen erwartet mich bereits ungeduldig ein schmutziger älterer Mann mit Kippe im Mund und Gummistiefeln. Er winkt mir mit beiden Händen zu. Ich beeile mich und entschuldige mich auf spanisch für meine Verspätung. Hastig führt er mich in den Stall. Er zeigt mir, wo ich meine Sachen einschließen kann und setzt mir einen Helm auf den Kopf. „La chica“, ruft er in den Stall rein und eine Frau streckt ihren Kopf aus einer Pferdebox. Die Pferde starren mich aus ihren Boxen an. Weiter hinten höre ich einen Esel. Auf einmal frage ich mich, ob das hier wirklich so schlau ist. Es geht jetzt alles ganz schnell, weil die anderen schon auf mich warten. Auf einem Trainingsplatz hinter dem Stall sehe ich bereits die beiden anderen Mitglieder meiner Gruppe, wie sie ein paar Runden drehen. Die Frau kommt aus der Box und fragt mich, ob ich Reiterfahrung habe. „Nein“, sage ich. Ich bin immer noch etwas neben der Spur und ein bisschen zittrig. Sie führt ein Pferd heraus, dessen treue Augen mich anschaue. Eine braune Stute mit einer weißen Blesse auf dem Gesicht. Sie heißt Royal.
Um mir das Aufsteigen zu erleichtern, schiebt die Frau einen kleinen Hocker her. Während ich auf das Pferd steige, habe ich auf einmal sehr viel Respekt. Die anderen aus meiner Gruppe sind schon los geritten. Während ich ihnen nachschaue und mich frage, was aus mir wird, erklärt mir die Frau ein paar Sachen in schnellem Spanisch. Ich verstehe kein Wort. Sie switcht zu Englisch. „Just dont fall“, sagt sie. Und dass es besser sei, sich am Pferd festzuhalten und mit den Schenkeln und Knien Halt zu finden, als runterzufallen. Runterfallen? Das habe ich heute wirklich gar nicht vor. Aber ich weiß, wie unberechenbar Pferde sind. Es könnte auf einmal eine Schlange aus dem Gebüsch kommen. Oder ein Hund ohne Leine. Oder ein Auto auf der Straße. Ich versuche, ruhig zu bleiben, während sie mir beibringt, wie ich das Pferd mit Fußsignalen in Gang bringe, mit den Zügeln lenke und es zum Stehen bringe. Auf einmal bemerke ich schuldbewusst, dass ich überhaupt nichts von Pferden weiß. Wenn überhaupt, dann von Bibi und Tina. Aber da liefern sie sich ständig nur Wettreiten. Das habe ich heute nicht vor. Ich hätte mich wenigstens über die Basics informieren sollen. Ein bisschen schockiert lasse ich den Hof hinter mir, weil ich die anderen aus meiner Gruppe schnell einholen soll. Ich versuche, Haltung anzunehmen, damit ich nicht auf dem armen Tier hänge, wie ein nasser Sack. Ich spreche dem Tier gut zu und tätschele seinen Hals. Es trottet den anderen gemächlich hinterher. Ich nehme einen tiefen Atemzug und versuche, meinen Puls unter Kontrolle zu bekommen. Zwei Stunden auf diesem majestätischen Tier stehen mir bevor. Zwei Stunden auf Royal. Ich bereue, dass ich das hier mache. Ich versuche ruhig zu bleiben und hole die anderen ein, die auf mich warten.
Dann folgt eine Tour durch die Wüste an Kakteen vorbei. Über Stock und Stein, im wahrsten Sinne des Wortes. Manchmal geht es bergab und der steinige Boden des Gerölls unter uns fühlt sich rutschig an. Ich habe auf einmal Angst um das Tier. Dass es ausrutschen könnte und ich gleich mit. Immer wieder spreche ich Royal gut zu. Aber mein Herzschlag lässt sich kaum beruhigen. Gerade ist ein Hindernis geschafft, kommt auch schon das nächste. Mit dem Lenken klappt es gut und ich habe das Gefühl, dass ich das Tier einigermaßen unter Kontrolle hab. Es gehorcht. Meistens.
Die Frau, die unser Tourguide ist, begrüßt mich irgendwann. Von ganz vorne ruft sie mir in schlechtem Englisch etwas zu, das ich nicht verstehe. Was? Sie gibt mir zu verstehen, dass mein Pferd ganz hinten bleiben muss, weil es die anderen Pferde sonst tritt. Na super! Ich versuche, mich mit meinem Schicksal abzufinden und den Ritt zu genießen. Wegen der wüstenartigen Landschaft fühle ich mich, als würden wir durch die Prärie reiten. Irgendwann dreht der Mann vor mir sich um und mustert mich. Er ist Franzose und zieht den ganzen Ausritt lang an seiner E-Zigarette. Er erzählt mir, dass er und seine Frau seit einigen Jahren selbst Pferde haben. Entspannt sitzt er in seinem Sattel, obwohl sein Tier manchmal ganz schön aufmüpfig ist. Er fragt mich, wie lange ich schon reite. Ich sage ihm, dass ich eigentlich überhaupt nicht reite und lächele schief. „Du bist aber gut“, meint er und dreht sich dann wieder nach vorne. Das beruhigt mich ein ganz kleines bisschen.
Immer, wenn wir ein Stücken hinterher sind, fängt Royal auf einmal an, zu traben. Jedes Mal habe ich Angst, dass sie nicht mehr stehen bleibt. Die Frau, die unsere Truppe führt, erklärt, dass das Pferd nicht den Anschluss verlieren will und nur deshalb manchmal schneller wird. Ich hoffe, dass es bald vorbei ist. Ich habe mir das so viel einfacher vorgestellt. Ich glaube, es liegt in meiner Natur, mit Tieren eine gute Verbindung aufzubauen. Trotzdem habe ich die ganze Tour ein bisschen Angst. Als wir auf einmal eine befahrene Straße überqueren müssen, würde ich am liebsten absteigen. „Tranquilo“, sage ich immer wieder. Und frage mich, ob ich zum Pferd oder zu mir selbst spreche. Die erste Straßenüberquerung überstehen wir alle ohne sonderliche Zwischenfälle. Die Tiere scheinen relativ gut an alles gewöhnt zu sein. Der Franzose dreht sich zu mir um und macht Daumen hoch. Ich lächle gequält. Unsere Tour führt an einem schönen Strand vorbei. Die Landschaft dieser Insel hat tatsächlich so gut wie alles zu bieten, da sie eine Vulkaninsel ist und nahe dem Äquator liegt.
Ich entspanne mich etwas, weil ich merke, dass ich wirklich ein liebes Tier bekommen habe. Immer wieder tätschele ich ihren Hals und lobe sie, wenn sie wieder einen steilen Abhang geschafft hat.
Von weitem sehe ich auf einmal den Hof. Wir müssen ein kleines Stück die Straße entlang. Ich bin immer noch das Schlusslicht unserer Pferdekarawane. Die Autos hinter uns fangen an, sich zu stauen. Die anderen biegen auf den Pferden links ab. Ich erwarte, dass mich die Autos auch noch durchlassen. Aber eine Frau fährt ungeduldig nah an uns heran. Man ist auf einem Pferd so viel größer, als die meisten Autos. Ich schaue auf sie runter in ihr genervtes Gesicht. Unser Tourguide wird wütend und gibt der Frau im Auto Handzeichen, zurück zu bleiben. Aber sie kommt näher und auf einmal schnaubt Royal nervös und setzt sich schnell in Bewegung. Doch auch, als wir die anderen eingeholt haben, bleibt sie nicht stehen, sondern sprintet geradewegs auf den Parkplatz des Reiterhofs. Ich versuche sie zu beruhigen, aber als ich merke, dass sich nichts machen lässt, bemühe ich mich einfach, nicht in Panik zu verfallen. Ich versuche, mich auf ihrem Rücken zu halten und mich hinten am Sattel festzuhalten. Mit der anderen Hand ziehe ich die Zügel sanft immer wieder nach hinten, bis sie schließlich langsamer wird. Ein älterer Mann auf dem Parkplatz, der den Ernst der Lage überhaupt nicht zu verstehen scheint, macht lächelnd ein Foto von uns. Ich muss beängstigend darauf aussehen. Aber ich glaube man sieht mir noch immer nicht an, dass ich eigentlich nicht reiten kann. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich will keine Sekunde länger auf Royal sitzen bleiben. Wir kommen am Übungsplatz an und gehen gemächlich Richtung Stall zurück. Als ich aufgefordert werde, runter zu steigen, schwinge ich das rechte Bein nach hinten und lasse mich von ihrem Rücken plumpsen. Ich bin heilfroh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. „Gracias Royal“, sage ich und tätschele sie am Hals. Die Frau aus dem Stall lacht. „You survived“, sagt sie und nimmt mir das Pferd ab. I survived.
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