Diese Geschichte handelt von einer Begegnung, mit der ich nicht gerechnet hätte. Als er im Hostel ankommt, scheint er desinteressiert und distanziert. Meistens isoliert er sich von den anderen. Ich sehe ihn kaum mit jemandem sprechen. Er sitzt fast nur grimmig auf der Couch mit Kaffee und starrt vor sich hin. Anfangs weicht er mir aus. Er sieht arabisch aus mit schwarzem Vollbart. Nach zwei Tagen fällt mir auf, dass er eigentlich nur auf der Terrasse sitzt und ins Meer starrt. Am dritten Tag stellt er sich vor. Wie aus dem Nichts streckt er mir seine Hand hin und sagt seinen Namen. Ob er Kaffee für mich machen soll, fragt er. In diesem Moment bietet mir jemand anders Kaffee an, der noch in der Kanne übrig ist. Verlegen blicke ich zwischen den beiden hin und her. Der Bärtige macht mir also keinen Kaffee. Ich gehe davon aus, dass wir nie wieder reden. Er wirkt unzugänglich, als hätte er tausend Mauern um sich. Ich frage mich, warum er überhaupt hier ist, wenn er nur im Hostel abhängt. Obwohl ich auch fast nur im Hostel abhänge. Aber ich gehe jeden Tag spazieren oder zum Strand oder an den Pool oder in den kleinen Laden im Dorf oder zum Sportplatz, um laufen zu gehen.
Später reden wir doch wieder. Während ich mir Essen reinzwänge. Ich bin total ausgehungert und schwach und gleichzeitig fühle ich mich, als bekäme ich keinen Bissen runter. Gott, wie oft es mir so geht. Verunsichert schaut er mir zu, wie ich mich zwinge, mein Sandwich runterzubekommen. Einfach nur, damit ich genug Kraft für meinen Ausflug habe. Er sitzt mir direkt gegenüber. Eigentlich nur, weil dort die Leute sitzen, mit denen ich mich bereits angefreundet hab. Irgendwie kommen wir wieder ins Gespräch. Er ist auf Zypern großgeworden. Ein Inseljunge also. Jetzt wohnt er in Finnland. „Griechische oder türkische Seite von Zypern?“, frage ich beiläufig. Wir reden nur auf Englisch. „Die griechische“, sagt er. „Ich bin überrascht, dass du weißt, dass Zypern beides hat“, sagt er. Ich erkläre ihm, dass meine Schwester kürzlich auf Zypern gewesen ist und ich das nur deshalb wüsste. Er reist morgen schon ab, meint er. Warum bist du überhaupt gekommen, frage ich mich insgeheim. Vier Tage Teneriffa, nur um fast den ganzen Tag im Hostel zu sein. Einmal war er wandern. Er zeigt mir Bilder von seinem Picknick bei Sonnenuntergang auf dem Vulkan Teide. Ich bin überrascht. Noch mehr, als er mir erzählt, dass er heute Morgen auch auf dem Sportplatz im Dorf laufen war. Dann müssen wir uns knapp verpasst haben. Ich weiß nicht mehr, worüber wir dann noch reden. Nur, dass er meint, bei Uno verliere er immer. Er sagt das so trocken und ohne Emotionen, dass ich lachen muss. Er lacht nicht. Ich muss jetzt sowieso los, damit ich meinen Bus nach Los Christianos bekomme. Ich will mich mit zwei deutschen Mädels aus Duisburg treffen. Damit verabschieden wir uns. Ich finde, er schaut mich seltsam an. Ständig.
Abends gibt es Pizza für alle im Hostel. Ich sehe ihn nicht. Am nächsten Morgen behauptet er, er sei da gewesen. Er sitzt mit gepacktem Rucksack und Kaffee wieder auf der Couch. „Guten Morgen“, sage ich. „Gehst du gleich schon?“ „Ja, in ein paar Stunden.“ Er meint, er will davor noch einen Kaffee trinken gehen. Im Dorf gibt es nur ein einziges Café. „Hört sich gut an“, sage ich. Er sagt, dass er sich freuen würde, wenn ich mitkomme. Er geht in zwei Stunden los. „Ich überlegs mir“, sage ich und bin ein bisschen überrascht, dass er es nicht vorzieht, alleine zu gehen. „Wägst du die Pros und Kons ab?“, fragt er. Ich lache und verschwinde in mein Zimmer.
Nachdem ich ein bisschen gelesen und im Aufenthaltsraum gesessen habe, beschließe ich, seine Einladung anzunehmen. Heute ist Sonntag und ich habe nicht viel vor. Das Café wollte ich sowieso ausprobieren. Er ist direkt startklar. Manchmal wirkt er nervös. Auf dem Weg erzählt er mir von seinen Reiseerfahrungen. Er kann von überall arbeiten in seinem Job. Daher war er viel unterwegs. Manchmal laufen wir einfach schweigend nebeneinander her. Es ist windig und er bietet mir seinen Pullover an. Mir ist aber nicht kalt. Es ist nicht unangenehm. Er ist ja sowieso kein Mann vieler Worte. Für mich ist es eine nette Abwechslung zu den anderen Typen im Hostel, die manchmal ganz schön viel Stuss reden und den ganzen Tag eine Bierfahne haben oder nach Gras riechen. Hier auf der Insel wird das Leben einfach nicht so ernst genommen.
Wir kommen im Café an und nehmen Platz. Die Kellnerin wirkt gestresst, besonders weil wir nicht so gut Spanisch können. „No entiendo ingles“, betont sie mehrmals. Wir bestellen einfach Espresso. Und ich ein Chicken-Sandwich. Er will nichts essen. Wir schweigen viel. Manchmal reden wir kurz. Ich bin ganz ehrlich zu ihm, was seine isolierte unzugängliche Art angeht. Ich gestehe ihm, dass er einschüchternd wirkt. Er tut überrascht, aber ich glaube, das ist nichts Neues für ihn. Es scheint aber nicht seine Absicht zu sein. Er ist einfach so. Ich frage ihn, warum er so ist. Er zuckt mit den Schultern. „Manche Leute sagen, die Zeit bei der Army hat mich verändert.“ Aha. Kommt mir ein bisschen Pick-Me rüber. Er sieht aber aus wie ein Soldat. Dabei ist er nur zwei Jahre bei der griechischen Armee gewesen. Er hat breite Schultern und kurze Haare. Und eben seinen Vollbart.
Zweimal bringe ich ihn zum Lachen. „Endlich lachst du“, sage ich. „Du durchschaust mich schnell“, sagt er, weil ich immer wieder Vermutungen über ihn anstelle, die scheinbar richtig sind. Jedenfalls behauptet er das. Ich weiß nicht, was ich ihm glauben kann. Er könnte mir schließlich alles erzählen. Auf einmal stellt er mir die „Wo siehst du dich in 10 Jahren“ Frage. Ich mag diese Frage nicht. Deshalb antworte ich auch nur knapp. Bei unserem Gespräch kommt jedenfalls raus, dass wir uns in 10 Jahren eher nicht am selben Ort sehen. Er hat vor, für immer hinter seinen Mauern zu bleiben. Was auch immer ihn hinter diese gebracht hat. Keine Kinder, nicht heiraten. Unabhängig sein. Er ist schon 36. Deshalb kaufe ich ihm das ab. Wir reden noch ein bisschen über unseren Alltag. Seine Routine wirkt ziemlich dumpf. Arbeit, Wandern, Gym, Essen. Er gibt zu, dass er nicht viele Freunde hat. Seine Eltern wohnen auf verschiedenen Kontinenten. Einsame Seele, denke ich, und frage mich, ob er glücklich ist. Eigentlich weiß ich, dass er es nicht ist. Immerhin ist mir zweimal kurz gelungen, das Funkeln in seinen Augen zu sehen, wenn er lacht. Er wirkt weiterhin ein bisschen nervös und unsicher. Wir tauschen Nummern aus. „Nur, wenn das für dich okay ist“, sagt er. Warum sollte das nicht okay sein, frage ich mich. „Wenn du mal nach Finnland kommst, steht dir jederzeit meine Couch zur Verfügung.“ Ich weiß, dass ich so schnell nicht nach Finnland kommen werde. Auf meiner Liste ist das nicht so weit oben. Trotzdem bedanke ich mich. „Ich hätte ein bisschen länger hier bleiben sollen, dann hätten wir zusammen nach Santa Cruz fahren oder was anderes unternehmen können“, sagt er mit einem Bedauern, dass ehrlich gemeint zu sein scheint. Später sagt er nochmal was in der Art. Ich wundere mich. Schließlich ist es Zeit für ihn, aufzubrechen. Ich habe das Gefühl, er will überhaupt noch nicht gehen. Er bezahlt für mich wie ein Gentleman. Das habe ich nicht erwartet. Die Verabschiedung läuft ziemlich unemotional. Er verschwindet so schnell, wie er gekommen ist. Ich bleibe noch ein bisschen sitzen, als er gegangen ist. Dann laufe ich an der Küste entlang Richtung Hostel. Es windet jetzt stärker. Die Wellen prassen gegen die Felsen und wirken aggressiv. Ständig läuft mir eine der Katzen vor die Füße, die hier im Dorf leben. Sie sind schmutzig und ich will auf keinen Fall mit ihnen in Berührung kommen. Obwohl ich Katzen sehr mag. Irgendwie geht mir die Begegnung mit ihm noch lange nach. Es macht mich traurig, dass er traurig ist. Und es wahrscheinlich immer sein wird. Auf einmal bekomme ich eine Nachricht von ihm. „You are very attractive by the way. Just had to say it.“ Ich frage mich, was mich so very attractive für ihn gemacht hat. Und warum er mir das nicht ins Gesicht sagen konnte.
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