Ich komme viel zu früh am Flughafen an. Ich mache sogar noch einen kleinen Herbstspaziergang über den Parkplatz. Überall stehen Bäume mit schön gefärbten Blättern. Wenn ich zurückkomme, liegt vielleicht schon Schnee. In ein paar Stunden werde ich auf einer kanarischen Insel landen mit herrlichem Klima. Ich freue mich. Am Flughafen ist nichts los. Es sind nur noch 3 Flüge geplant für heute. Ich gehe zur Gepäckkontrolle. Alles läuft reibungslos. Niemand will meinen Koffer wiegen. Gott sei Dank. Ich glaube, er ist zu schwer. Egal. Ist nur Handgepäck. Das Flughafenpersonal ist sehr freundlich. Behutsam nimmt die Dame mir den Mantel aus der Hand und legt ihn in eine Box. „Nicht, dass der noch schmutzig wird“, sagt sie. „Das ist mir mal passiert. Das ist dann ärgerlich.“ Ich danke ihr lächelnd.
Aufgeregt erzählt eine Rentnerin einer anderen Angestellten, dass sie nun 6 Monate auf Teneriffa verbringen wird. Sie scheinen sich zu kennen. „Sie machen alles richtig“, sagt die Angestellte lachend. Ich nehme meine Sachen vom Band und räume alles zurück an seinen Platz.
Ich will mir vor dem Flug noch was zu essen kaufen. Aber der einzige Laden, der gerade geöffnet hat, ist ein Kosmetikshop. Gegenüber gibt es ein Café. Aber es hat geschlossen. Es ist ein kleiner Flughafen, es gibt sowieso nicht viel zu sehen hier. Ich gehe in den geöffneten Laden und schaue mich um. Es gibt auch ein paar Getränke und Snacks. Ich nehme ein Wasser aus dem Kühlschrank. Eine kleine Packung Pringles und ein Corny. Ich lege alles auf den Tresen. Die Frau sieht selbst auch aus wie eine Kosmetikerin. Sie kuckt genervt und will meine Bordkarte sehen, bevor sie die Produkte scannen kann. Ich frage sie, ob sie weiß, wann das Café nebenan öffnet. Genau in dem Moment gehen dort ironischerweise die Rolläden hoch. Ich schaue sie an. Ihr Mund ist ein pink angemalter Strich. Sie antwortet nicht. „9, 70 €“, sagt sie nur. Mein Koffer kippt um und landet auf der Seite. Ich muss lachen, weil ich so überfordert wirke. Sie lacht nicht. Ihr Mund ist immernoch ein Strich. Ungeduldig wartet sie darauf, dass ich bezahle. Ich bezahle.
Beim Café, dass gerade geöffnet hat, hole ich mir noch ein belegtes Brötchen und setze mich auf eine Couch. Ich lasse mich in die Kissen sinken und schaue mich um. Es ist ein schönes Café. Für ein Flughafencafe zumindest. Ich fange an, eins der Bücher zu lesen, die ich mitgenommen habe. Es ist lustig und ich muss ein paarmal lachen. Als ich wieder aufblicke, sind auf einmal fast alle Plätze im Café belegt. Ich gehe davon aus, dass wir alle dasselbe Reiseziel haben. Teneriffa. Die größte der kanarischen Inseln. Später esse ich das Sandwich und stelle mich am Gate an. Es öffnet pünktlich. Die Leute drängeln, als hätten sie Angst, keinen Platz mehr an Bord zu bekommen.
Als ich die Maschine betrete, sehe ich bereits von weiter hinten, dass auf meinem Fensterplatz ein Mann sitzt. Und als ich näher komme, kann ich deutlich erkennen, dass dieser Mann schwer krank ist. Auf der rechten Seite seines Halses klafft eine offene Wunde und er sieht sehr erschöpft aus. Die Wunde ist durch ein spezielles durchsichtiges Pflaster abgedeckt.
Sofort ist mir klar, dass ich mich nicht mit ihm um meinen Fensterplatz streiten werde. Ich schätze ihn auf etwa 40. Wegen seiner Glatze dachte ich erst, er sei älter. Neben ihm versucht eine blonde Frau hektisch, ihren Sitz sauber zu machen. „Ist schmutzig“, sagt sie mit einem osteuropäischen Akzent. Der Mann starrt vor sich hin. Ich nähere mich meiner Sitzreihe. Die Frau blickt zu mir auf. „Du sitzen am Fenster?“ Ich nicke, aber gebe ihr mit einer Handgeste zu verstehen, dass ich auch am Gang sitzen kann. Schon oft genug hatte ich im Flugzeug den Fensterplatz. Außerdem hatte ich sowieso geplant, zu schlafen. Sie deutet mit ihrem Blick auf den Mann. „Er hat Krebs.“ Ich nicke. „Ist okay du sitzen nicht am Fenster?“ Ich nicke und werfe dem Mann ein unsicheres Lächeln zu. Es scheint ihm ein wenig peinlich zu sein.
Wir verstauen unser Gepäck in den Ablagen und zügig füllt sich das Flugzeug. Je mehr Menschen reinkommen, desto mehr höre ich die Beschwerden. „Also mit so einem Flugzeug bin ich noch nie geflogen.“ „Das werden enge 4 Stunden.“ „Normalerweise wird man vom Bordpersonal freundlich begrüßt. So kenne ich das.“ Ihnen scheint nicht bewusst zu sein, dass wir mit einer absoluten Billig-Airline unterwegs sind. Die meisten Leute dürften im Alter ihres Rentenantritts sein, die solche Äußerungen von sich geben. Ich verdrehe die Augen.
Die blonde Frau neben mir dreht sich nochmal zu mir. „Danke. Vielen Dank.“ „Kein Problem“, sage ich und lächle. „Er ist sehr schwach“, sagt sie. Ich nicke. Später erfahre ich, dass sie aus Bulgarien kommt. Sie ist fast 60. Der Mann ist ihr Sohn. Er ist 33. Drei Monate war sie mit ihm in Deutschland in einer Uniklinik. Er lebt auf Teneriffa. Sie lebt seit 6 Jahren in Deutschland. Früher war er Fußballprofi. Die Sonne am Äquator hat ihn krank gemacht. Schwerer Hautkrebs. Er hat 3 Chemotherapien hinter sich. Sie erklärt mir, dass sein Geld, dass er als Sportler verdient hat, jetzt für die Behandlungen draufgeht. Er schläft fast den ganzen Flug über. Immer wieder tätschelt sie ihm das Bein und streckt ihm die Wasserflasche hin. Manchmal weint sie kurz. Der Mann hat viele Tattoos. Eins zeigt zwei betende Hände mit einem Rosenkranz. Später sage ich der Frau, dass ich für ihren Sohn beten werde. „Danke. Vielen Dank.“
Noch später deute ich mit meinem Blick auf das Tattoo. „Glaubt er an Gott?“ Sie schaut auf das Tattoo. Dann zu mir. Hilflos zuckt sie mit den Schultern. Wir reden ein bisschen über alles mögliche. Sie arbeitet in einem Hotel, genau wie ich. Wir finden heraus, dass wir sogar in derselben Stadt arbeiten. Sie putzt Zimmer, ich mache Frühstück. Sie sagt, ich solle einen bulgarischen Käse ausprobiere. Kashkaval. Er ist in Deutschland zu kaufen. Bei Lidl. Sie will, dass ich es mir aufschreibe. Sie will auch, dass ich ihre Nummer aufschreibe. Ich freue mich. Ich mag sie. Sie fragt mich, ob ich alleine reise. Ich nicke. „You are not married?“ Ich schüttele den Kopf. „Gut“, sagt sie.